Kooperation statt Konkurrenz (2)

Für Lynn Margulis ist die ganze Erde ein symbiotisches, also miteinander kommunizierendes und kooperierendes System. Diese Gaia-Hypothese hat sie zusammen mit dem englischen Privatgelehrten James Lovelock geschaffen. Die Idee, die ganze Erde sei ein Lebewesen, das seine Kinder mütterlich beschützt, wurde von der Fachwelt einheitlich verlacht – heute gibt es wissenschaftliche Kongresse, die sich mit der Gaia-Hypothese ernsthaft auseinander setzen. Doch das nur nebenbei.
Die erstaunlichste Manifestation von K² (Kommunikation & Kooperation) sind die komplexen Städte, die von hirnlosen Mikro-Organismen gebaut werden – in Ihrem Abguss! Diese als Biofilme bekannten Strukturen werden von Bakterien, Algen, Pilzen und Einzellern (z.B. Pantoffeltierchen) gebaut. Sie schließen sich zu Kolonien zusammen, prüfen die Umweltbedingungen, zählen ihre Nachbarn und schaffen dreidimensionale Stadtstrukturen, die in ihrer Komplexität modernen Großstädten vergleichbar sind und die, wie ein Wissenschaftler einmal begeistert feststellte, „wie Manhatten bei Nacht aussehen“. Dort gibt es Wasserleitungen, Abwässerkanäle, Fahrtrinnen und Versammlungsplätze. Ein Extrembeispiel sind die Kolonien, die im Magen der Kühe leben. Fünf Formen von Bakterien sorgen für den Abbau der Zellulose: Stamm 1 verwandelt Zellulose in Glukose. Stamm 2 verwertet die Glukose zu Butyrat. Dieser Stoff wird vom 3. Stamm in Azetat transformiert, von dem sich Stamm 4 ernährt und als Nebenprodukt Methan produziert. Für alle vier Stämme ist Sauerstoff ein Gift, doch im Kuhmagen gibt es viel davon. Also schafft eine fünfte Bakterienart einen Schutzfilm um die anderen vier, damit sie ungestört arbeiten und leben können. Und wir Menschen könnten uns an diesen „hirnlosen“ Wesen ein Beispiel nehmen!
Aber auch der gnadenlose Kampf der Spermien um das Recht zur Befruchtung ist eine Darwinsche Chimäre. Wie wir heute wissen, arbeiten alle Spermien zusammen, bilden einen schützenden Kordon um den „Auserwählten“ und helfen ihm, zusammen mit der Eizelle, auf dem beschwerlichen Weg zum Ziel. Und der Krebsforscher und Medizinnobelpreisträger Otto Heinrich Warburg (1883 – 1970) meinte sogar, Krebszellen wären keineswegs die rücksichtslosen Bösen, als die sie immer dargestellt werden, sondern hilfreiche Zellen, deren Hilfsprogramm leider daneben geht.
Fazit: Die Fähigkeit zur Zusammenarbeit scheint langfristig Vorteile des Überlebens zu bieten. Die Fähigkeit zur Kooperation scheint auch die Voraussetzung zu einer Eigenschaft zu sein, die neuerdings als Erklärungsprinzip für die Vielfalt der Welt dient: die Selbstorganisation. Sie tritt nicht nur bei höheren und niederen Lebensformen auf, nicht nur bei lebenden Zellen, sondern auch bei den unbelebten Teilen der Natur: bei Sandkörnern, Galaxien oder Elementarteilchen. So erklärt beispielsweise der Physiker James Paul Wesley die Fähigkeit von Licht und Elektronen, sich wellenförmig zu organisieren (siehe unseren Teil über Quantenphysik): Bereits vorhandene Lichtteilchen (Fotonen) oder Elektronen prägen die Umgebung, hinterlassen ihre unsichtbaren Duftmarken im Äther und an den Rändern der Spalten von Schirmen, die den Strahlengang beeinflussen. Andere Fotonen folgen ihnen, wie Ameisen den Geruchsspuren ihrer Artgenossen, und so ergibt sich sehr schnell ein Muster, dem Lichtteilchen oder Elektronen scheinbar unerbitterlich gehorchen. Wir sehen allerdings nicht, wie schnell sich diese Prägung herausbildet, wir bemerken nur verblüfft die Wirkung der markierten Wege: Die erstaunliche Ordnung, die wir in der Welt des unendlich Kleinen so bewundern, stammt von den Bewohnern dieser Welt!

Wer mehr wissen will, kann sich das Buch als pdf-Datei hier herunterladen.

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