Das Gartenzaun-Paradoxon

Zu den wichtigsten Voraussagen der Speziellen Relativitätstheorie (SRT) gehört die Längenkontraktion: Ein schnell vorbeifliegender Gegenstand erscheint verkürzt. Daraus ergibt sich ein eklatanter logischer (also unauflösbarer) Widersprüch:

Stellen wir uns einen ganz gewöhnlichen Gartenzaun vor. Naja, nicht ganz gewöhnlich. Er soll unendlich lang sein, doch wem das zu lang ist, der kann ihn in Gedanken einfach nur „beliebig lang“ machen. In der Praxis macht das keinen Unterschied. Seine Latten sollen 10 cm breit sein, die Zwischenräume etwas größer, sagen wir 15 cm. Nun besorgen wir uns noch eine Kugel von 10 cm Durchmesser. Sie passt also gut durch die Zwischenräume. Und wenn wir uns vor den Zaun stellen, können wir ohne Probleme die Kugel durch irgendeinen Zwischenraum auf die andere Seite des Zauns werfen.

Der Einstein-Zug: Wie man sieht, passt die Kugel genau durch den Zwischenraum.

Entlang dem Zaun, ziemlich dicht an ihm dran, verlaufen Gleise, die so lang sind wie der Zaun. Auf ihnen verkehrt der Einstein-Express, ein Zug der besonderen Art. Er wurde von Albert Einstein zur Illustration seiner Ideen erdacht. Das Besondere an ihm: Er kommt in seiner Geschwindigkeit nahe an die des Lichts heran.

Wir steigen in den Zug und fahren langsam los. Immer noch können wir unsere Kugel problemlos durch die Lücken des Zauns werfen; wir müssen nur den Ablenkwinkel durch die Eigengeschwindigkeit berücksichtigen. Der aber wird, wie es so schön heißt, „vernachlässigbar klein“, wenn wir den Zug sehr nahe am Zaun vorbeifahren lassen.

Und jetzt geben wir Gas und beschleunigen auf eine Geschwindigkeit, die der Lichtgeschwindigkeit nahe kommt. Und siehe da: nun können wir die Kugel nicht mehr auf die andere Seite des Zaunes werfen, denn gemäß der Längenkontraktion der Speziellen Relativitätstheorie zieht sich der Zaun – und damit auch sein Zwischenraum – zusammen: Die Kugel passt nicht mehr durch.

Der Einstein-Zug bei hoher Geschwindigkeit, vom Zug aus gesehen. Durch die Längen-Kontraktion erscheint der vorbei flitzende Zaun gestaucht – die Kugel passt nicht mehr durch (relativistische Effekte in rot)

Das ist an sich noch nicht verwunderlich, denn wir können nicht erwarten, dass unter extremen Verhältnissen die gleichen Bedingungen herrschen wie im Alltag. Doch jetzt machen wir etwas ganz Einfaches: Wir wechseln den Standpunkt. Statt mitzufahren hocken wir jetzt hinter dem Zaun und drücken dem Schaffner des Einstein-Zuges die Kugel in die Hand, mit der Auflage, sie bei hoher Geschwindigkeit durch den Zaun zu werfen. Und das geht ohne weiteres: Denn nach dem Einsteinschen Relativitätsprinzip erleben wir hinter dem Zaun das gleiche wie vorhin im Zug: Der Zug und alles, was in ihm mitfährt, schrumpft in Längsrichtung zusammen. Die Kugel wird also dünner und passt nun problemlos durch die Lücken des Zauns.

Die gleiche Situation, von einem ruhenden Beobachter aus betrachtet (er steht vor dem Zaun). Nun betrifft die Längenkontraktion den Zug – und die Kugel passt sehr wohl durch den Zaun. Aber an der physikalischen Situation hat sich nichts geändert! Dennoch ermöglicht der Wechsel des Betrachters, was vorher unmöglich war

Was ist da geschehen? Das Wechseln des Standpunkts macht etwas möglich, was vorher unmöglich war. Um das Wunderbare – oder Absurde – der Situation ganz deutlich zu machen, stellen Sie sich folgendes vor: Sie hocken ganz friedlich am Tresen Ihrer Lieblingsbar, und plötzlich kommt so ein Kerl daher und macht Stunk. Er provoziert Sie, wie auch immer. Doch Sie lassen sich nicht einschüchtern und behaupten kühn, Sie könnten ihn mit dem kleinen Finger Ihrer linken Hand in die Luft heben. Er lacht sich kaputt, aber sie sagen, Sie müssten nur „den Standpunkt wechseln“. Sie gehen also ein halbes Mal um ihn herum, setzen sich noch eine Brille auf (möglichst eine in rosa) – und schwupp, schon ist der Kerl so leicht, dass Sie ihn ohne weiteres mit dem kleinen Finger hochheben können.

Eines der groteskesten Beispiele für die Absurditäten der Längenkontraktion in der Speziellen Relativitätstheorie fand ich auf einer russischen Webseite. Es geht um Raumstationen im Weltall, von denen mal die eine innen ist, mal die andere, mal zwei an der gleichen Stelle, je nach Standpunkt. Eine ausführliche Darstellung findet sich hier.

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