Es gab ein Ereignis, das die Physiker so sehr erschütterte wie kaum ein anderes. Der Missbrauch ihrer Kunst zur Konstruktion der Atombombe? Aber nein, viel schlimmer: die Zerstörung einer Symmetrievorstellung, und zwar einer ganz elementaren: Die Natur bevorzugt weder links noch rechts.
Tut sie aber doch, wie sich in Experimenten mit radioaktivem Kobalt-60 herausstellte. Dabei entstehen durch Kernzerfall Elektronen („Betastrahlen“), deren Spin in gleicher Weise in die eine oder in die andere Richtung weisen sollte. Doch in einem starken Magnetfeld geschah das nicht. Die für den Beta-Zerfall verantwortliche „schwache Kernkraft“ schien sich nicht an die Symmetrie-Vorstellung der theoretischen Physiker zu halten. Die durchaus beachtlichen Abweichungen wurden zuerst theoretisch von den Herren Chen-Ning Yang und Tsung-Dao Lee erkannt und beschrieben, von der Experimentalphysikerin Chien-Shiung Wu nochmals bestätigt. Yang und Lee schlugen auch vor, die Symmetrieverletzung dem Neutrino in die Schuhe zu schieben, einem Teilchen, das keine Masse und keine Ladung hat (mithin auch nicht nachgewiesen werden kann), sich aber dennoch um die eigene, nicht vorhandene Achse dreht. So kommen wenigstens auch die Kleinen zu ihrer Bedeutung.
Die Nachricht von der „Verletzung der Parität“ (so der Fachausdruck) auf einer Tagung im April 1946 schlug wie eine Bombe ein. Martin Gardner zitiert in seinem Buch „The Ambidexterous Universe“ (etwas: das doppelhändige Universum) einen Brief von Wolfgang Pauli an Viktor Weißkopf:
Jetzt, wo der erste Schock (über die Paritätsverletzung beim Beta-Zerfall) vorbei ist‚ beginne ich zu mir zu kommen. Es hat mich nicht so sehr die Tatsache erschüttert, dass der Herrgott seinen linken Arm bevorzugt, als die, dass er – obzwar Linkshänder – sich immer symmetrisch gibt, wenn er sich „stark“ offenbaren will.
Ist Gott Linkshänder? Und warum verheimlicht ER das vor den Physikern?
Tja, Schuld an dem Denk-Debakel hat wieder mal der Liebe Gott (siehe Bild rechts oben: Gott als Linkshänder). Die Paritätsverletzung hat aber nur die theoretischen Physiker erschüttert; Experimentalphysiker zeigten sich davon unbeeindruckt. Sie hatten nicht erwartet, dass alles nach den Vorstellungen großer Denker verlaufen muss. Experimente sind Fragen an die Natur; welche Antwort die Natur gibt, weiß vorher niemand.
Die Physiker mussten nun zugeben, dass die Natur trotz ihres großen Bedürfnisses nach Symmetrie ebendieses Bedürfnis nicht immer befriedigt. So sprachen sie von Symmetrieverletzung, gar von Symmetriebruch, beides Begriffe, die beim Menschen eher unangenehme Vorstellungen hervorrufen. Sie hätten das Ganze ja auch „Richtungsbevorzugung“ nennen können, doch die Sprache verrät die dahinter steckende Ideologie. Jedenfalls versuchten sie der Lage Herr zu werden, indem erst mal drei Symmetrien festschrieben:
C bedeutet den Übergang von Materie zu Antimaterie und heißt Ladungskonjugation. Dabei spiegeln sich Masse (+ zu -) und Ladung (+ zu – oder umgekehrt. Neutral bleibt neutral).
P bedeutet den Übergang vom Bild zum Spiegelbild. Die rechts-links-Orientierung firmiert unter dem Begriff Parität.
T bedeutet den Ersatz der Zeitvariablen t durch ihren Negativwert, also die Verfolgung eines Prozesses nicht in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit.
Die Parität ist also beim Betazerfall verletzt, Neutrinos drehen sich immer links rum, Antineutrinos nach rechts. Aber vielleicht ergibt die Kombination mit den anderen Symmetrien wieder eine Invariante? In der Tat, multipliziert man C und P, dann bleibt diese Größe erhalten. Gottseidank, seufzten die Physiker, aber nicht lange. Beim Zerfall des K-Mesons ist auch dieses Produkt nicht mehr konstant (James Cronin, Val Fitch 1964). Aber wenn wir so tun, als reise das K-Meson in die Vergangenheit, geht es vielleicht dann? Tatsächlich: Das Produkt CPT bleibt in diesem Fall unverändert. Doch wie steht es mit anderen Prozessen? Das weiß niemand, aber es besteht der Verdacht, dass die Natur uns weiterhin foppt und uns eines Tages Prozesse präsentiert, bei denen auch diese multiple (und anschaulich schwer deutbare) Symmetrie nicht mehr gilt. Wie sagte doch Einstein über den Lieben Gott?
Raffiniert ist der Herrgott, aber boshaft ist er nicht.
Vielleicht ist der Liebe Gott tatsächlich nicht boshaft, möglicherweise aber die Natur. Oder sie denkt anders als wir und schert sich nicht um Symmetrie und Harmonie. Beides existiert in der belebten Natur ja auch nicht. Und außerdem brauchen die Physiker gar nicht so erstaunt sein. Denn die Verletzung der Parität, also die Bevorzugung einer Richtung im Raum, ergibt sich ja schon aus dem Vektorprodukt (= äußeres Produkt) zweier Vektoren (siehe das Kapitel über Ørstedt). Und dieses Produkt ist Grundlage für die Berechnung des Drehmoments in der klassischen Mechanik sowie der Lorentzkraft in der Elektrodynamik. Die Natur bevorzugt die ganze Zeit eine Richtung, und wir sind überrascht, dass sie es auch dort wagt, wo wir strengste Symmetrie erwarten!