Wo andere mit Schistöcken im Sommer auf Gehwegen Langlauf praktizieren („Nordic Walking“), da tanze ich mit ebenderselben Leidenschaft argentinischen Tango. Eines Nachts (Tango wird nur nächtens getanzt) hielt ich eine besonders schöne, wohlriechende und anschmiegsam tanzende Frau in den Armen. Die Musik war wunderbar, die Stimmung herrlich, ich hätte im höchsten Glückszustand mein Tangoleben beschließen können, zumindest für diesen Abend. Doch mein Glück wurde mir vermiest durch das Kleid der Dame: Es war asymmetrisch. Nicht unten an den Beinen, da muss es so sein, und da stört es nicht, denn da sehe ich es nicht. Nein, jener schreckliche Zustand herrschte oben an den Schultern: Eine Seite war durch ein dünnes Schulterband gesichert, die andere hielt so. Ein entsetzlicher Anblick, der mir den Abend vergällte und weitere erfreuliche Entwicklungen abblockte. Denn Asymmetrien sind das Schlimmste, was einem Physiker zustoßen kann.
Symmetrien dagegen sind sein höchstes Glück, und deshalb beruht die gesamte moderne Physik auf symmetrischen Prinzipien, Überlegungen und Gleichungen. So war es im übrigen von Anfang an im Abendland. Der englische Mathematiker und Kinderbuchautor Lewis Carroll hat es in seinem grotesken Gedicht „Die Jagd nach dem Schnark“ am besten erfasst, wenn der Käptn seinen Mitstreitern den Rat gibt:
Doch höchstes Gesetz soll bei all dem dir sein des Tiers Symmetrie zu bewahren.
Zwar warnt der berühmte Physiker Richard Feynman vor dieser Besessenheit mit Symmetrie – oft gleichbedeutend mit Schönheit und Vollkommenheit – , wenn er sagt: „Wir haben die Tendenz, Symmetrie als eine Art Perfektion zu akzeptieren.„. Doch gleich darauf wischt er alle Bedenken beiseite: „Die Wahrheit erkennst du an ihrer Schönheit und Einfachheit.“ Nicht etwa an der Übereinstimmung von Behauptungen mit der Realität!
So hat das Streben nach Symmetrie der Physik ungeheure Erfolge beschieden und sie genauso oft in ebenso ungeheure Sackgassen geführt. Wie es dazu kam, das will ich in diesem Buch erzählen.
Peter Ripota
PS. Ich habe die Beziehung zu jener Dame bald abgebrochen, Sowas kann sie mit einem Künstler machen, nicht mit mir!