Zwischenspiel: Warum Widersprüche das Ende bedeuten

Einst sagt ein alter Mann zu mir:
„Wieviel ist zwei und zwei?
Ich fragte einst ’ne alte Fei,
die sagte, es sei vier.
Doch glaube ich, dass etwas hier
nicht stimmt, dass fünf oder auch drei
das richtige Ergebnis sei.
Und was meint Ihr?“

Was ist so schlimm daran, dass 2 x 2 ausnahmsweise 3 oder 5 ist? Das darf es ruhig, wenn es nicht gleichzeitig gleich vier ist. Es geht um die Gleichzeitigkeit: Dies ist gleichzeitig vorhanden und nicht vorhanden. Klingt gut, ist aber für jede exakte Theorie tödlich. Denn die Mathematiker haben gezeigt, dass man aus einem Widerspruch jede beliebige Aussage ableiten kann, also mit jeder „Wahrheit“ auch ihr Gegenteil. Und damit ist die Theorie schlicht und einfach überflüssig. Denn um alles behaupten zu können, brauche ich keine Theorie!

Dass man aus einem Widerspruch alles ableiten kann, zeigen wir hier an einem einfachen Beispiel. Nehmen Sie die Arithmetik der ganzen Zahlen und fügen Sie folgendes offensichtlich falsche Axiom hinzu: 0 = 1
Die Arithmetik enthält jetzt einen Widerspruch, denn natürlich gilt dort immer noch: 0=0, aber auch, ab jetzt, 0=1. Nun können Sie jede beliebige Behauptung beweisen, z.B. 28 = 17. Das geht ganz einfach. Wir schreiben:
28 – 17 = 28 – 17
Jetzt multiplizieren wir die linke Seite mit 1, die rechte mit 0 (die beiden Zahlen sind ja seit neuestem identisch). So erhalten wir
28 – 17 = 0, oder 28 = 17

Mathematiker sind also darauf bedacht nachzuweisen, dass eine Theorie widerspruchsfrei ist, dass es dort also niemals zu einem Widerspruch kommen wird. Kein leichtes Unterfangen – wie soll man das machen? Zumal Kurt Gödel nachgewiesen hat, dass man die Widerspruchsfreiheit einer mathematischen Theorie nicht in der Theorie selbst nachweisen kann. Das geht nur in einer höheren (reichhaltigeren) Theorie – von der niemand weiß, ob sie nicht Widersprüche enthält, was den Beweis zunichte machen würde.
Dennoch ist es Gödel und einigen anderen gelungen, die Widerspruchsfreiheit der einfachen Arithmetik (mit den Axiomen von Peano) nachzuweisen. Der Trick: Ist die Theorie widerspruchsfrei, dann muss es zumindest eine Aussage geben, die man aus dieser Theorie nicht ableiten kann. Eine solche Aussage allgemeinster Natur zu konstruieren erfordert aber viel Kreativität!
Wenn es schon sehr schwierig ist, Widersprüche in mathematischen Theorien zu bemerken, müsste es dann nicht noch viel schwieriger sein, solche Widersprüche in einem theologischen System zu entdecken? Mitnichten! Gott – der oberste Gott, also der Gott des Monotheismus (Juden, Christen, Muslime) hat naturgemäß absolute Eigenschaften. Alles an ihm ist absolut unendlich, so gut wie alles führt dann auch zu Widersprüchen. Weil die so einfach zu durchschauen sind, wollen wir das nun in aller Ausführlichkeit tun.
Gott hat nach Meinung der Theologen einige der folgenden Eigenschaften:
– Unendlichkeit ist eine aktuale (tatsächlich vorhandene) Unendlichkeit, im Gegensatz zu einer potentiellen (möglichen), die nur als Ziel existiert, jedoch nie wirklich erreicht werden kann.
– Schönheit
– Unveränderlichkeit und Ewigkeit. Die beiden Eigenschaften bedeuten, dass jede innere Wandelbarkeit (und damit Wandlung) ausgeschlossen ist.
– Allwissenheit besagt, dass Gott nicht nur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Welt kennt, sondern auch sich selbst.
– Freiheit ist, wie alle anderen Eigenschaften, absolut. Gott handelt stets ohne innere Nötigung und äußeren Zwang. Die Freiheit wird in drei ‚Unter — Freiheiten‘ eingeteilt (jede davon wieder absolut), und zwar
(a) die Freiheit, zu handeln oder nicht zu handeln.
(b) die Freiheit, dies oder jenes zu tun.
(c) die Freiheit, Gutes oder Böses zu setzen.
– Allmacht ist, historisch gesehen, seine älteste Eigenschaft. Man kann sie so unterteilen wie die zuvor besprochene Eigenschaft, indem man statt ‚Freiheit‘ jeweils ‚Macht‘ setzt.
– Gerechtigkeit ist die dauernde Bereitschaft, das richtige, das heißt, dem beiderseitigen Wesen entsprechende Verhältnis zu einem anderen einzunehmen. Die einzige Norm für diese ‚Richtigkeit‘ ist Gottes eigener Wille.
– Barmherzigkeit ist die Bereitwilligkeit Gottes, aus freiem Willen der Not leidenden Kreatur zu Hilfe zu kommen. Die Barmherzigkeit Gottes ist unberechenbar, das heißt, völlig willkürlich. Gott muss seine eigenen Urteile nicht vollstrecken. Wenn er weiß, dass es richtig oder gut wäre, etwas zu tun, muss er es nicht tun (das folgert aus seiner Freiheit).
– Unbegreiflichkeit Gottes durch den Menschen besagt, dass der Mensch Gott nie begreifen kann (auch im Tode nicht). Gott ist vom Menschen nicht erfragbar, erforschbar, begreifbar, bestellbar oder feststellbar. Nur die Seligen sind der ‚Anschauung Gottes‘ fähig, doch ob man selig wird, hängt allein vom Willen Gottes ab.
Allen Eigenschaften kommt das Attribut absolut zu (Im „Lexikon für Theologie und Kirche“ steht dieses Wort ausdrücklich vor jeder der auf gezählten Eigenschaften).
Und jetzt zu den Widersprüchen. Was irgendeiner Eigenschaft Gottes widerspricht (meinen die Theologen), ist innerlich unmöglich. Das innerlich Unmögliche aber ist — nichts. Also sind jene Eigenschaften Gottes, die zu einem Widerspruch führen, nichts, das heißt, sie existieren nicht (für Gott), Gott besitzt sie gar nicht.
Die Allmacht Gottes ist mit sich selbst unvereinbar. Das wussten schon die alten Chinesen. Angenommen, Gott sei allmächtig. Dann kann er auch einen Stein erschaffen, den er nicht bewegen kann. Könnte er dies nicht, wäre er nicht allmächtig. Kann er es aber, ist er erst recht nicht allmächtig. Man kann diesem Paradoxon — wie vielen anderen — dadurch entgehen, dass man das Wort ‚absolut‘ streicht. Das aber ist deshalb unmöglich, weil man, wenn Gottes Eigenschaften nur eine bestimmte ‚Stärke‘ haben, ein Wesen konstruieren könnte, das auf einer höheren Stufe steht, ohne mit Widersprüchen behaftet zu sein. Die Absolutheit ist also unbedingt erforderlich für das höchste Wesen.
Allmacht und Freiheit sind unvereinbar mit Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Allwissenheit. Sogar im „Lexikon für Theologie und Kirche“ wird vermerkt, dass Gott von Freiheit (c) nicht Gebrauch machen kann. Daher ist seine Freiheit nicht absolut, entgegen der Behauptung, und wenn sie nicht absolut ist, wie groß ist sie dann? Könnte es nicht ein Wesen geben mit einem größeren Maß an Freiheit, das dennoch keine Widersprüche in sich trägt? Gottes Freiheit ist, laut diesem Buch, weiterhin dadurch eingeschränkt, dass er sich selbst nicht hassen kann.
Seine Allmacht wird begrenzt durch Allwissenheit und Unveränderlichkeit, durch erstere gegenüber der Welt, durch letztere gegenüber sich. Denn wenn Gott die Zukunft kennt, kann er sie nicht ändern. Sonst müsste er auch wissen, wie er sie ändern wird, dann wäre aber sein Wille nicht mehr frei. Gott kennt, das sei betont, die Zukunft der Wirklichkeit, nicht etwa nur alle Möglichkeiten der Zukunft. Und da Gott unveränderlich ist, kann er selbstverständlich sich selbst nicht ändern.
Die Unendlichkeit Gottes ist mit sich selbst unvereinbar. Gott muss die höchste Stufe der Unendlichkeit besitzen (sonst könnte man sich ein Wesen vorstellen, das noch höher ist als er). In der Mengenlehre wird gezeigt, dass ein derartiger Begriff zu einem logischen Widerspruch führt: Wenn die Unendlichkeit eine Zahl ist (die wir als Ω bezeichnen), dann kommt man durch Weiterzählen zu einer größeren Zahl. Ist Gott dagegen eine Menge, dann sicher die größte aller denkbaren Mengen, beispielsweise die Menge alles Denkbaren. Nennen wir sie M. In ihr ist nicht nur alles Denkbare, sondern auch alles Undenkbare enthalten, also sicherlich überhaupt alles.
Doch M kann es nicht geben. Ich kann mir nämlich eine Menge N ausdenken, die größer ist als M. Da aber M alles enthält, enthält sie auch N. N ist also Element von M und daher kleiner (oder höchstens gleich) M. Nach unserer Definition ist sie aber größer als M, und wenn die Worte ‚kleiner‘ und ‚größer‘ noch irgendeine Bedeutung haben sollen, kann M nicht existieren. Also gibt es keine größte Menge und damit keine höchste Form der Unendlichkeit, also auch nicht Gott.
Gottes Schönheit ist unvereinbar mit seiner Unbegreiflichkeit. ‚Schönheit‘ ist ein Begriff, der nur Sinn hat in Bezug auf den Menschen. Die Natur ist weder schön noch hässlich und auch nicht kitschig. „Erst das Auge schafft die Welt“ wie Christian Morgenstern in dem Gedicht vom ungesehenen Kilometerstein bemerkt. Erst wenn man die Natur ‚anschaut‘ (auf irgendeine Art erlebt), kann man ihr das Attribut ’schön‘ zu — oder absprechen.
Fazit: Bei so vielen Widersprüchen kann man aus den „Axiomen“ der Theologen so gut wie jede Behauptung ableiten, genauso wie ihr Gegenteil. Wozu brauchen wir dann eine Religion?

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