Ein Mathematiker ist wie ein Blinder, der in einem dunklen Raum eine schwarze Katze sucht, die nicht da ist.
Charles Darwin
Schon die alten Griechen kannten eine Reihe sprachlicher Paradoxien, das sind Ausdrücke, die sich selbst widersprechen und damit zu logischem Unsinn führen. Die einfachste Art liegt in einer Visitenkarte, auf deren Vorderseite steht:
Der Satz auf der Rückseite ist falsch.
Auf der Rückseite lesen wir:
Der Satz auf der Rückseite ist wahr.
Jetzt wird’s haarig. Satz (1) behauptet, Satz (2) wäre falsch. Das würde heißen, dass Satz (1) falsch ist, was bedeuten würde, dass Satz (2) doch wahr ist. Dann aber ist Satz (1) wieder wahr, was bedeutet … siehe oben.
Die Griechen formulierten das Paradoxon so: Epimenides behauptet: Alle Kreter sind Lügner. Da er selbst aus Kreta stammt, hat er gelogen. Also sind doch nicht alle Kreter Lügner. Also hat er die Wahrheit gesagt. Also sind alle Kreter Lügner … ad infinitum.
Solche unendliche Schleifen kennen wir auch aus der Datenverarbeitung: Wenn Ihr Betriebssystem wieder mal zusammenbricht, dann meist deshalb, weil es intern in eine unendliche Schleife geraten ist.
Der Mathematiker und Logiker Bertrand Russell formulierte die Sache in der Sprache der Mengenlehre. Das ist ein wenig kompliziert, und darum präsentieren wir hier seine vereinfachte Version. Russell definiert den Dorfbarbier wie folgt: Er rasiert alle Männer, die sich nicht selbst rasieren (Gruppe 1). Männer, die sich selbst rasieren (Gruppe 2) brauchen den Dorfbarbier nicht.
Soweit so klar. Die Schwierigkeit beginnt wieder bei dem, was wir Selbstreferenz nennen, also Selbstbezüglichkeit: In welche Gruppe gehört der Dorfbarbier? Wenn er sich selbst rasiert (Gruppe 2), dann rasiert er sich laut Definition nicht selbst. Wenn er aber sich nicht selbst rasiert (Gruppe 1), dann rasiert er sich laut Definition selbst.
Noch etwas komplexer ist die Sahe mit Wörtern. Es gibt Wörter, die sich selbst bedeuten, aber davon finden wir wenige. Das Wort „kurz“ ist tatsächlich kurz, und das Wort „Wort“ ist selbst ein Wort. Solche Wörter nennen wir autonym. Die meisten Wörter aber bedeuten nicht sich selbst. „Rot“ ist nicht rot, und „Mensch“ ist kein Mensch (sondern ein Wort). Solche Wörter nennen wir heteronym.
Die Frage „Ist das Wort heteronym selbst heteronym oder ist es autonym?“ führt uns wieder in einen unendlichen logischen Kreislauf. Denn wenn es autonym ist, dann bedeutet es sich selbst, und das ist heteronym. Ist es aber heteronym, dann bedeutet es eben nicht sich selbst, also ist es autonym. So oder so, wir kommen nicht weiter. Auch hier kommt das Problem dadurch zustande, dass wir etwas definieren und erst danach die Menge, die der Definition entspricht, in sich selbst einreihen wollen.
Was dann die Mengenlehre wirklich in Schwierigkeiten brachte, war die Sache mit der Menge aller Mengen, die sich selbst nicht enthalten. Die Argumentation ist die gleiche wie bei den heteronymen Wörtern. Und so führte die Definition einer Menge, die Gottlob Frege (1848 – 1925) ausdrücklich einführte, weil er sie brauchte, zu einem Widerspruch. Die Vertreter der Mengenlehre lösten das Problem auf elegante Weise: Mengen, die zu Widersprüchen führen, sind keine Mengen (sagen sie), sondern Klassen. Mit anderen Worten: Stolperst du über einen Widerspruch, bringe die entsprechende Menge unter Quarantäne. Dann ist alles gut – bis zum nächsten Widerspruch.
Die Entwickler des Lambda-Kalküls und der Theorie der Kombinatoren (die wir im letzten Hauptkapitel kennenlernen werden) haben aus der Not eine Tugend gemacht und aus dem lügenden Kreter ein wundersames Instrument entwickelt, den Fixpunktoperator, der aus jeder beliebigen Funktion ihren Fixpunkt extrahiert, also jenen Wert, der sich bei Anwendung der Funktion nicht ändert – und das Ganze ohne Widersprüche, streng konstruktiv, d.h. nachvollziehbar und berechenbar. Der Teufel, sagt man, existiert im Detail; er existiert vor allem in der Vorstellung.