Von ρ zu Ω („Von rho zu Groß-Omega“)

Sie jagten bis Einbruch der Nacht.
Doch sie fanden
Keinen Knopf, keine Feder, kein Pfand,
Welche ihnen gezeigt, dass am Tatort
sie standen,
wo der Sänger ins Schnark sich verrannt.

Lewis Carroll: Die Jagd nach dem Schnark

Mit den Mahlo-Zahlen stehen wir ganz am Anfang der Reihe „großer“ Kardinalzahlen, sprich: unendlich großer unendlicher (transfiniter) Zahlen und Mengen. Die Mathematiker jagten weiter nach dem Omega so wie die Besatzung von Lewis Carrolls seltsamen Schiff nach dem Schnark. (Im Original heißt es natürlich nicht „Sänger“ (= Cantor), sondern Bäcker!) Den Rest der Stufenfolge wollen wir nur kurz erwähnen (Sie dürfen über die Bezeichnungen staunen) und dann ein paar Kommentare abgeben.
Nach den Mahlo-Zahlen kommen die unbeschreibbaren Zahlen, dann die schwach kompakten Zahlen, die extrem unbeschreibbaren Zahlen, die unfaltbaren Zahlen, die subtilen Zahlen, die unsagbaren Zahlen, die bemerkenswerten Zahlen, die Erdös-Zahlen, die Zerlegungszahlen, die Jónsson-Zahlen, die Rowbottom-Zahlen, die ununterscheidbaren Zahlen, und schließlich die messbaren Zahlen.
Kleine Verschnaufpause, gleich geht’s weiter. Es folgen die starken Zahlen, die Woodin-Zahlen, die Shelah-Zahlen, die hyper-Woodin-Zahlen, die superstarken Zahlen, die stark kompakten Zahlen, die superkompakten Zahlen, die erweiterbaren Zahlen, die Vopěnka-Zahlen, die beinah riesigen Zahlen, die riesigen Zahlen, die superbeinaheriesigen Zahlen, die superriesigen Zahlen, die n-riesigen Zahlen, die Rang-in-Rang-Zahlen, die Reinhardt-Zahlen.
Kleine Verschnaufpause, und zwei kleine Kommentare.
Der erste betrifft den Begriff der Messbarkeit. Die Mathematiker kamen mit den üblichen Maßen natürlich nicht mehr weiter, also dachten sie sich neue Maße zur Erfassung unendlicher Mengen aus. Dabei ergab sich eine seltsame Kuriosität: Das Maß aller Mengen mit abzählbar vielen Elementen ist 0; das Maß aller Mengen mit überabzählbar vielen Elementen ist 1. Dazwischen und darüber gibt’s nichts, was mit Hilfe des Auswahlaxioms sofort zu einem Widerspruch führt. So kann man den Kreisumfang mit Hilfe dieses umstrittenen (aber notwendigen) Axioms geschickt so ausschöpfen, dass eine Menge entsteht, deren Maß entweder 0 ist oder 1 x ∞ = ∞. Das kann aber nicht sein, denn der Kreisumfang hat bekanntlich das Maß 2pi. Flugs zogen sich die Mathematiker auf gewohnte Weise aus dem Dilemma, indem sie behaupteten: Es gibt unmessbare Mengen. Welche das sind, entscheiden sie dann, wenn’s wieder mal nicht klappt.
Der zweite Begriff heißt elementare Einbettung. Mit seiner Hilfe werden alle Zahlen größer als die messbaren Zahlen definiert. Es geht darum, Beziehungen zwischen den Elementen eines mathematischen Gebildes auf ein größeres, reicheres Gebilde zu übertragen. Gelten die Beziehungen dann in gleicher Weise, d.h. kann das kleinere Gebilde in das größere eingebettet werden? Und natürlich darf man auch fragen: Kann ein Gebilde, z.B. eine Menge, in sich selbst eingebettet werden?
Nun geht es weiter. Nehmen Sie tief Atem und staunen Sie: Unsere Reise ist zu Ende! Es geht nicht weiter, denn die letzten Zahlen, erst 2006 definiert, erwiesen sich als widersprüchlich. Reinhard versuchte eine elementare Einbettung einer Menge in sich selbst. Doch war schon seit 1970 bekannt, dass so etwas nicht funktioniert, da es zu einem Widerspruch führt.
Die Reise der Mathematiker hinaus in den Ozean des Transfiniten ist abrupt an einer unüberwindbaren Klippe gescheitert, obwohl das Ziel – Ω, das Absolute – immer noch unendlich weit weg ist. Den tapferen Mathematikern, die sich auf die Jagd nach der Phantom-Zahl machten, erging es wie der Mannschaft aus Lewis Carrolls Gedicht „Die Jagd nach dem Schnark“: Als sie es endlich gefunden haben, entpuppt sich das harmlos scheinende Schnark als bösartiges Budschumm, und sein Entdecker löst sich in Luft auf. Es erging ihm wie dem Förster Theobald aus Christian Morgensterns Gedicht „Das Löwenreh“: Als er das Ungeheuer endlich stellt, lösen sich beide in Luft auf.
Wie auch immer wir das absolut Unendliche benennen oder es uns vorzustellen versuchen, wir sind hilflos in seinem Angesicht, es droht der Tod durch Zerschmelzen. Und das ist auch verständlich: Das unendlich Ferne, das unermesslich Große, überschattet alles; in Seinem Anblick schrumpfen wir zum Nichts. Doch war die Reise zu ihm, die Jagd nach dem Schnark oder dem Löwenreh, faszinierend, spannend, überraschend; sie eröffnete uns neue Aus- und Einblicke in mathematische Zusammenhänge, regte uns zu theologischen Spekulationen an und führte zu kunstvollen Konstruktionen, die noch immer Bestand haben, auch wenn sie keiner braucht und kaum einer versteht.

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