Unser erkennender Geist spannt sich, indem er etwas erkennt, ins Unendliche aus.
Thomas von Aquin
Eine Menge heißt geordnet, wenn von je zwei Elementen festgestellt werden kann, in welcher Beziehung sie zueinander stehen: >, = oder <. Alle reellen Zahlen sind geordnet, nicht aber die komplexen Zahlen, da muss man eine Ordnung erst definieren. Eine Menge heißt wohlgeordnet, wenn sie (und jede Teilmenge) ein kleinstes Element hat. Die Menge der ganzen Zahlen ist wohlgeordnet, denn ihr kleinstes Element ist 0 oder 1 (je nach Zählung), und auch für jede Teilmenge kann man ein kleinstes Element finden. Die Menge der Bruchzahlen oder der reellen Zahlen im offenen Intervall (0,1) (das sind alle Zahlen außer den Endzahlen 0 und 1) ist erst mal nicht wohlgeordnet, denn es gibt dort keine kleinste Zahl.
Doch jetzt wird’s spannend: Mit Hilfe des ominösen Auswahlaxioms kann man beweisen, dass jede Menge wohlgeordnet werden kann, also auch überabzählbare Mengen – bloß wie?
Cantor gelang das Kunststück tatsächlich für die Bruchzahlen (siehe das entsprechende Zwischenspiel: „Wieviele Zahlen gibt es zwischen 0 und 1?“). Bei den reellen Zahlen ist es noch nicht gelungen. Wir zeigen einen Ansatz dazu.
Wir stellen die Zahlen zwischen 0 und 1 nur mit den Ziffern 0 und 1 dar, wir transformieren sie also ins Dualsystem, dem bevorzugten System der Computer. Wir beginnen mit der Null:
0,00000…
Als nächstes bauen wir eine einzige „1“ ein, das gibt abzählbar unendlich viele Möglichkeiten:
0,100000…
0,010000…
0,001000…
usw. Die „1“ wandert also systematisch nach rechts. – Als nächstes verwenden wir zwei Einsen, da wird die Sache schon ein wenig umfangreicher:
0,11000…
0,01100…
0,00110…
…
0,10100…
0,01010…
…
0,10010…
0,01001…
…
Und so geht’s dahin, später mit drei Einsen, mit vier, … mit unendlich vielen, das wäre dann die Zahl 0,1111… So könnten alle Zahlen zwischen 0 und 1 systematisch erzeugt werden – von einem Computer, der unendlich viel Zeit hat, genauer gesagt: c Zeiteinheiten. Danach ist er richtig fertig!
Aber selbst wenn er es schafft, er hat auch dann keineswegs alle Zahlen erzeugt. Menschlicher Erfindungsgabe sind keine Grenzen gesetzt, und so fehlen uns als erstes die hyperreellen Zahlen. Die hat sich Abraham Robinson ausgedacht: Es sind ganz einfach die Differenziale (dx, dy), mit denen wir uns in der Schule und auch an der Hochschule herumquälten. Solche Zahlen liegen zwischen den reellen Zahlen, so wie die irrationalen Zahlen zwischen den Bruchzahlen liegen. Man kann eine hyperreelle Zahl etwa so definieren: 0, gefolgt von unendlich vielen Nullen, gefolgt von unendlich vielen Einsen. Das sieht dann so aus: 0,000…1111… Wie man sieht, ist diese Zahl größer als 0, aber kleiner als jede andere Zahl. Die Methode kann man jetzt weiter ausbauen. So könnten wir an diese Zahl beispielsweise noch das unendliche Muster 010101… anhängen:
0,000…1111…0101010101… , und daran wieder … und daran … Noch verwickelter wird die Sache, wenn wir auch noch die surrealen Zahlen einordnen. (Zu deren Definition siehe das Kapitel „Von klein-omega zu unendlich“). Auf eine Wohlordnung dieser Mengen müssen wir wohl noch eine Weile warten!