Determinismus

Legt man das Blockuniversum von Einstein/Minkowski zugrunde, bleibt als Einstellung zum Schicksal nur der strenge Determinismus: Alles ist vorherbestimmt. Die Welt kann beeinflusst, aber nicht geändert werden. Der britische Astrophysiker James Jeans hat den physikalischen Determinismus 1935 beinahe poetisch charakterisiert:

Das Gespinst der Raumzeit ist bereits vollständig gewoben, im Raum wie in der Zeit, sodass das ganze Bild existiert, obwohl wir uns dessen nur Stück für Stück bewusst werden – wie einsame Fliegen, die über einen Teppich kriechen. Ein menschliches Leben ist nichts als ein Faden in diesem kosmischen Teppich.

Und auch der „Erfinder“ der Science Fiction und Gründer des ersten SF-Magazins (Amazing Stories, 1926), Hugo Gernsback, vertritt einen strengen Determinismus, wenn er sagt: „Wir können die Zukunft um kein Jota ändern. Die Ereignisse irgendeiner zukünftigen Ära sind unauslöschbar im Buch des Schicksals eingetragen.“ ähnlich der Erfinder der Zeitmaschine, H.G. Wells. In einem Vortrag am 24.1.1902 mit dem Titel „Die Entdeckung der Zukunft“ meinte er:

Wenn durch eine Manipulation von Raum und Zeit Julius Cäsar, Napoleon, Edward IV, William der Eroberer, Lord Roeberey und Robert Burns alle bei ihrer Geburt geändert worden wären, hätte das keine ernsthafte Verschiebung am Strom des Schicksals hervorgerufen. Diese großen Männer sind bloße Federspitzen, die das Schicksal zum Schreiben verwendete.

Ebenso poetisch wie düster drückt es der SF-Autor Norman Spinrad in der Erzählung „The Weed of Time“ (1970) aus, wo durch Kauen einer extraterrestrischen Pflanze alle Lebewesen die Zukunft exakt kennen:

Die Zukunft kann nicht geändert werden, weil sie nicht geändert wurde, weil sie nicht geändert werden wird.

Doch diese Einstellung widerspricht den Auffassungen der Quantenphysik und unserer Vorstellung vom Freien Willen.

Das Problem haben übrigens auch die jüdischen Religionen, also Judentum, Christentum und Islam. Sie glauben an einen allwissenden Gott, also an einen Gott, der alles kennt, auch die gesamte Zukunft: nicht etwa nur die Möglichkeiten der Zukunft, sondern ihre echte Realisierung. Also muss alles vorausbestimmt sein. Wo bleibt dann der freie Wille? Wenn es den nicht gibt, warum belohnt und bestraft Gott die Menschen für ihre Taten? Die großen Religionen haben das Problem ebenso wenig gelöst wie die Physiker.

Aber gibt es überhaupt einen freien Willen? Manches spricht dafür, dass wir nicht so ganz frei sind, wie wir meinen. In den 1980er Jahren experimentierte der amerikanische Physiologe Benjamin Libet am Hirn von Epilepsiekranken und stellte fest, dass der bewusste Wille, den Finger zu bewegen, erst ca. 1 ä Sekunden nach der eigentlichen Handlung erfolgt, das Gehirn aber diesen Zeitpunkt zur Täuschung des „Ich“ in der Zeit rückverlagert, sodass es aussieht, als hätte der Mensch tatsächlich erst entschieden und dann gehandelt, obwohl es in Wirklichkeit umgekehrt war. Die Experimente wurden zwanzig Jahre später wiederholt, mit ähnlichen Ergebnissen, doch Kritiker meinen, der Freie Wille sei etwas komplexer als das Heben des kleinen Fingers.

Wie auch immer, die deterministische Version der Schicksalsauffassung besagt: Ich kann weder die Vergangenheit noch die Zukunft ändern. Ändern setzt allerdings voraus, dass wir etwas kennen. Die Vergangenheit kennen wir (zumindest glauben wir das), aber die Zukunft? Indes, es gibt Menschen, die uns die Zukunft sagen können: Hellseher. Und so hat die erste uns überlieferte Erzählung dieser Art mit einer Voraussage zu tun: Ödipus erlebte sein Schicksal nur deswegen, weil es vorausgesagt wurde. Hätten ihn seine Eltern nicht fort gegeben, wäre das alles nicht passiert.

Dieses Thema des unabwendbaren Schicksals – und zwar genau durch seine Voraussage! – hat Philip K. Dick in seiner Erzählung „Minderheitenbericht“ (1956, später auch verfilmt) trickreich variiert. Hier etabliert der Held, der Polizeichef John Anderton, ein System der Verbrechensverhütung, das sich als höchst wirksam erweist: Drei hellsichtig begabte Mutanten sagen die Zukunft voraus (nicht immer genau die gleiche), und sehen, wer etwas Böses tun will. Diese Person wird prophylaktisch eingesperrt, obwohl sie ja gar nichts getan hat.

Als dann Anderton zufällig mitbekommt, dass er selbst demnächst einen Mann ermorden wird, den er gar nicht kennt, büchst er aus und lernt gerade dadurch diesen Menschen kennen. Woraufhin er (nach einigen Verwicklungen) erkennt, dass er diesen Menschen – einen Ex-General, der einen Militärputsch vorbereitet – aus politischen Gründen tatsächlich ermorden soll, was er dann auch tut, natürlich zum Wohl des amerikanischen Volks. Am Ende gibt der Held seinem Nachfolger folgenden Rat: „Passen Sie gut auf, wenn Ihr Name jemals auf einer Karte ((mit der Liste potentieller Mörder)) auftauchen sollte, lassen Sie den Dingen ihren Lauf! Sie können die Situation zwar für einige Zeit verwirren, aber nicht ändern.

Einen wirklich strengen Determinismus vertritt nur James Blish inseiner brillanten Erzählung „Störgeräusch“ (Beep, 1954). Die Protagonisten wissen genau, was in der Zukunft geschieht, dank der Erfindung des „Dirac-Radios“, ein Transmitter von Radiowellen aus der Zukunft. Die Heldin erklärt das Blockuniversum und das absolute Fehlen irgendeines freien Willens perfekt:

„Es gibt für uns keine Alternativen, keine imaginären ‚Zeitäste‘, keine Punkte auf der Zeitlinie, von denen aus wir den Lauf der Zukunft ändern können. Meine Zukunft, so wie die Ihre oder Dr. Walds oder von jedermann sonst ist festgelegt. Es änderte die Sache nicht im geringsten, ob ich nun ein vernünftiges Motiv für die Dinge hatte, die ich tun würde – ich würde sie auf jeden Fall tun. Ursache und Wirkung existieren nicht. Ein Ereignis folgt dem andern, und die Ereignisse sind in dem Raum-Zeit-Kontinuum genauso unzerstörbar eingebettet wie Materie oder Energie.“

Und weiter:

„Rationalen Erklärungen für unser Tun stehen uns wenigstens allem Anschein nach noch frei zu tun. Das Bewusstsein des Beobachters reist mit auf der Fahrt in die Zukunft. Es kann zwar den Ablauf der Ereignisse selbst nicht beeinflussen, aber es kann kommentieren, erklären, erfinden. Das ist ein großes Glück, denn wer von uns könnte ertragen, wie ein Roboter einfach Dinge tun zu müssen, die völlig frei wären von unserer Entscheidungs- und Willensfreiheit. Deshalb suchte ich mir ein Motiv zusammen.“

Nachdem sie ihre Motive erklärt hat, kommt der krönende Abschluss:

„Das also sind meine Motive. Aber sie waren es nicht vom Anfang an. In Wirklichkeit stehen ja keine Motive hinter unseren Handlungen. Alle Handlungen sind schon lange vorher festgelegt. Was wir Motive nennen, sind offensichtlich nur vernunftgemäße Erklärungen des hilflos zuschauenden Bewusstseins, das intelligent genug ist, ein kommendes Ereignis vorausahnen zu können – und da es das Ereignis nicht abwenden kann, stattdessen nach Gründen sucht, um es willkommen heißen zu können.“

Eine derart konsequente Einstellung finden wir selten in der Literatur. Meist vertreten die Autoren eine Art modifizierten Determinismus, der zwar auch besagt: Nichts kann geändert werden, und wenn wir es versuchen, erreichen wir genau das, was wir verhindern wollen (der Ödipus-Effekt). Aber menschliche Motive und bewusste Entscheidungen sind vorhanden, auch wenn sie nichts bewirken. Gute Beispiel dafür sind die beiden Erzählungen von Robert F. Young, die ich in diesem Buch aufgenommen habe. Im „Sternenfischer“ lebt der Held so unbewusst und so abhängig von seinem Verlangen, dass er gar nicht merkt, wie exakt er sein Schicksal erfüllt. Für den Mord an seiner Geliebten wird er zu vierzig Jahren Strafkolonie verurteilt, obwohl er ihn gar nicht begangen hat. So reist er zurück in die Vergangenheit, um den Mord zu verhindern, und gerade dadurch geschieht es: In einem Anfall von sinnloser Eifersucht bringt er (sein zweites Ich) die Angebetete um, weil sie nur ihn (sein erstes Ich) liebt.

In der Geschichte „Erfüllung“ dagegen nimmt der Held sein Schicksal positiv an, führt die Handlungen durch, die überliefert sind, sagt die Worte, die er, der Überlieferung nach, schon gesagt hat, und erreicht dadurch, was im Titel angedeutet ist: die Erlösung von seiner qualvollen Suche nach der  verlorenen Geliebten. Determinismus kann auch positiv sein: als Ergebenheit in das vorgezeichnet Schicksal, das aber erst – durch bewusste Anstrengungen – erfüllt werden muss.

So ähnlich dachte auch der Held Karl Glogauer in Michael Moorcocks „Behold the Man“ (1966, später auch als Roman). Mit Hilfe einer Zeitmaschine erfüllt sich der neurotische Späthippie Glogauer den Traum seines Lebens: bei der Kreuzigung Christi dabei sein zu dürfen. Die Zeitmaschine geht zu Bruch, ein Jesus ist nicht in Sicht bzw. entpuppt sich als debiler Junge. So wächst Glogauer ganz allmählich selbst in die Rolle des Menschen hinein, dessen Schicksal er unbedingt erleben wollte – was ihm dann auch auf schreckliche Weise gelingt: Er wird zuletzt gekreuzigt. Auch hier hat der Held die Bürde seines (vorgezeichneten?) Lebens bewusst auf sich genommen. Aber ist das noch Determinismus?

Jedenfalls gibt es eine besondere Form des Determinismus, die von vielen mit der Hölle gleichgesetzt wird: die schon erwähnten Zeitschleifen. Der Chirurg und Märchenerzähler Richard von Volkmann- Leander (1830 – 1889) hat in seinen „Träumereien an französischen Kaminen“ (1871) eine sehr harmlose Version der Hölle als Zeitschleife geschildert. In der Erzählung „Von Himmel und Hölle“ kommt ein Reicher ans Himmelstor und wird von Petrus gefragt, was er sich denn so wünsche. Der Reiche weiß genau, wie sein Himmel aussehen soll:

Da sprang der reiche Mann von der Bank auf und sagte, er wolle ein großes, goldenes Schloß haben, so schön, wie der Kaiser keins hätte, und jeden Tag das beste Essen. Früh Schokolade und mittags einen Tag um den andern Kalbsbraten mit Apfelmus und Milchreis, mit Bratwürsten und nachher rote Grütze. Das wären seine Leibgerichte. Und abends jeden Tag etwas andres. Weiter wolle er dann einen recht schönen Großvaterstuhl und einen grünseidenen Schlafrock; und das Tageblättchen solle Petrus auch nicht vergessen, damit er doch wisse, was passiere.
Da sah ihn Petrus mitleidig an, schwieg lange und fragte endlich: „Und weiter wünschest du dir nichts?“ – „0 ja!“ fiel rasch der Reiche ein, „Geld, viel Geld, alle Keller voll; so viel, daß man es gar nicht zählen kann!“
„Das sollst du alles habe“, entgegnete Petrus, „komm, folge mir!“

Und so erlebt der Reiche jeden Tag gleich, in tiefster Isolation. Nach tausend Jahren kommt er endlich drauf, dass er nicht im Himmel, sondern in der Hölle gelandet ist. Aber Petrus hat ein Einsehen und lässt ihn in nach weiteren tausend Jahren in den Himmel.

Viel übler ergeht es dem Helden der Erzählung „The double timer“ von Thomas M. Disch (Fantastic, Oct. 1962). Der Antiheld, ein Polizist, will seine Frau umbringen, was gelingt, und den Mord ihrem (vermuteten) Liebhaber in die Schuhe schieben, was nicht gelingt, denn der Liebhaber hat einen Unfall und wird ins Krankenhaus weggebracht; er ist also nicht am Tatort. Dann gibt es noch Streit mit seinem anderen Ich, und am Ende ist der Mörder in einer entsetzlichen Zeitschleife gefangen, bringt täglich seine Frau um und scheitert täglich mit dem Versteckspiel.

Die beste SF-Erzählung dieser Art ist Robert Heinleins „Entführung in die Zukunft“ („All you zoombies“) aus dem Jahr 1964: Ein Mann begegnet durch Reisen in die Vergangenheit einer Frau, das ist aber er selbst, nachdem er sich einer Geschlechtsumwandlung unterwarf, zeugt einen Sohn mit ihr/sich, nur um zu erkennen, dass dieser Sohn er selber ist und nur er, als einzige Person, überhaupt existiert. Am Ende der Erzählung heißt es:

Dann betrachtete ich den Ring an meinem Finger.
Die Schlange, die immer und ewig ihren Schwanz verschlingt … Ich weiß, woher ich stamme ä aber woher kommt ihr Wiederbeseelten? Ich spüre, dass ich Kopfschmerzen bekam, aber ich wollte keine Tab- lette nehmen. Das habe ich einmal getan ä und ihr seid alle fortgegangen. Deshalb kroch ich unter die Decke und stieß einen Pfiff aus, um das Licht zu löschen.
Ihr seid nicht wirklich dort. Außer mir – Jane – ist hier niemand in der Dunkelheit. Ihr fehlt mir schrecklich!

Wheeler hatte diese Idee schon viel früher: Er meinte, es gäbe in der Welt nur ein einziges Elektron, dessen Weltlinien einander unzählige Male überkreuzen, sodass es praktisch immer wieder neugeboren und damit sichtbar wird. Das würde die identischen Eigenschaften aller Elektronen erklären. Aber, so fragte ihn sein Schüler Feynman, woher kommen dann die Positronen?