In der Physik kommt die Zeit als gewöhnliche Variable t vor. In ausnahmslos allen Formeln der Mikro- und Makrophysik kann die Zeit t auch umgedreht werden (ersetze t durch – t), ohne dass sich an den Formeln etwas ändert. In den Newtonschen Formeln kommt die Zeit entweder nicht vor (weil Kräfte beschrieben werden, die augenblicklich wirken), oder aber der Determinismus der Newtonschen Physik kann genauso gut in die Vergangenheit projiziert werden. In der Quantenphysik kommt in der Schrödingergleichung die Zeit nicht vor, weil diese Gleichung nur stehende Wellen beschreibt, also Quantenzustände (diskrete Energienivos). Durch die Messung wird zwar ein Zeitpfeil festgelegt, Quantenzustände sind aber erst mal unbestimmt und hängen nicht von der Zeit ab. Nur der Zerfall des K-Mesons scheint der exakten Zeitsymmetrie zu widersprechen. Doch K-Mesonen leben im Mittel nur eine Hundertmillionstel Sekunde, und der dabei gemessene Effekt ist so klein, dass er offiziell als „superschwach“ bezeichnet wird. Eine Erklärung kennt man auch nicht.
Explosion oder Implosion? In den Gleichungen der klassischen Physik ist die Bewegungsrichtung und damit der Zeitpfeil belanglos. Dreht man die Zeitrichtung um, bleibt die Form der Gleichungen er- halten, und man kann aus ihnen nicht entnehmen, in welcher Richtung die Bewegungen ablaufen.
Aber, so wird der gebildete Leser einwenden, was ist denn mit dem zweiten Hauptsatz der Wärmelehre? Da heißt es doch, die Entropie, sprich Unordnung eines abgeschlossenen Systems nimmt mit der Zeit zu, was also bedeutet, dass Zustände niedriger Energie früher sind und Zustände höherer Energie später. Indes, das Gesetz ist rein empirisch, und in den beiden Definitionen der Entropie kommt die Zeit wieder nicht vor. Zwar hat Ludwig Boltzmann (1844 – 1906) versucht, den Zeitpfeil durch Übergangswahrscheinlichkeiten zu beweisen: Die Wahrscheinlichkeit des Übergangs eines unwahrscheinlichen Zustands in einen wahrscheinlichen ist größer als umgekehrt. Doch kann man durch ein cleveres einfaches Gedankenexperiment mit farbigen Kugeln und Urnen zeigen, dass diese Rechenergebnisse nur deshalb zustande kommen, weil wir zu wenig wissen. Macht man die Rechnung mit vollständiger Information, verschwindet der Zeitpfeil wieder. (siehe Literatur: Rothman). Boltzmann meinte im übrigen, in unterschiedlichen Regionen des Universums könnte der Zeitpfeil in die andere Richtung gehen!
Entropie groß oder klein? Beide Male handelt es sich um das gleiche Bild, links in grau, rechts in Farbe. Das linke Bild besitzt maximale Entropie (= Unordnung): Es ist keinerlei Muster zu erkennen. Im rechten Bild dagegen sehen nicht-farbenblinde Menschen deutlich eine Zahl. Der gleiche Zustand kann, je nach Betrachtungsweise, völlig unterschiedlichen Informationsgehalt und damit Entropie besitzen!
Ilya Prigogine (1917 – 2003) hat sich viel mit irreversiblen („dissipativen“) Prozessen beschäftigt und festgestellt, eine Simulation von vielen Zusammenstößen gleichartiger Teilen führt auch bei Zeitumkehr zum gleichen Ergebnis – ein Zeitpfeil ist nicht feststellbar. Die Sache ändert sich allerdings, wenn auch Korrelationen zwischen Teilchen berücksichtigt werden. Was bedeutet: Wenn Teilchen irgendwelche Beziehungen miteinander eingehen, gibt es einen Unter- schied zwischen Vergangenheit und Zukunft, zumindest in einer Computer-Simulation. Doch eine eindeutige Zeitrichtung ist hier nicht festgelegt; zudem wird nicht so recht deutlich, wie leblose Teilchen miteinander Beziehungen bilden und sich an diese auch noch im nächsten Schritt erinnern. Also wieder nichts.
Glücklicherweise gibt es einen Physiker, der sich intensiv mit Zeitumkehr, Beeinflussung aus der Zukunft und Zeitreisen durch Wurmlöcher beschäftigt hat: John Archibald Wheeler (1911 – 2008), Schöpfer des Ausdrucks „Schwarzes Loch“ und der Theorie der Wurmlöcher, mit deren Hilfe Zeitreisen möglich sein könnten. Sein Schüler Richard Feynman (1918 – 1988) hat seine Ideen aufgenommen und weiterentwickelt. Für uns interessant ist Wheeler-Feynmans Deutung von Antiteilchen, das sind Bestandteile der Antimaterie. Antiteilchen besitzen die gegenteilige Ladung ihrer Teilchen-Brüder und dazu Antimasse, was immer das auch heißen mag. Das Antiteilchen zum negativ geladenen Elektron ist das positiv geladene Positron. Treffen Materie und Antimaterie aufeinander, zerstrahlen sie sofort in einem ungeheuren Energieblitz nach der Einsteinschen Formel E = mcâ.
Und nun kommt die originelle und für uns bedeutungsvolle Deutung, bereits 1941 entwickelt: Antiteilchen sind normale Teilchen, die sich in der Zeit rückwärts bewegen! Elektronen und Positronen entstehen durch einen Gammastrahlenblitz, also durch viel Lichtenergie. Wenn sich die beiden dann vereinigen, wird diese Energie wieder frei. Das kann man auch so deuten: Anstelle der Wiedervereinigung prallt das Elektron von der plötzlich ausgesandten Energie so stark ab, dass es durch die Zeit zurückgeschleudert wird, aber diesmal als Antimaterie.
Wheeler/Feynman: Positronen (= Anti-Elektronen) sind Elektronen, die sich in der Zeit rückwärts bewegen.
Damit hätten wir endlich einen Zeitpfeil und auch die (rein theoretische) Möglichkeit einer Zeitreise in die Vergangenheit: Wir brauchen uns nur in Antimaterie zu verwandeln, schon geht’s ab ins Gestern. Rein technisch ist das nicht machbar, und ob es theoretisch stimmt, weiß auch niemand. Doch diese Vorstellung wird uns später bei der Lösung der Zeitparadoxa helfen!