Ursprünge des Tango

Woher kommt der Tango?

Jemandem die Essenz des Tango zu erklären ist genauso schwierig wie herauszufinden, wann und wo der Tango entstand und welche Wurzeln er hat. Musikwissenschaftler und Historiker sind sich über die Ursprünge des Tango ebenso wenig einig wie Tangotänzer über den richtigen Tanzstil. Deshalb ist diese Darstellung nur ein unvollkommener Versuch.

Der Tango entstand in den Hauptstädten an der Mündung des Rio de la Plata, also in Buenos Aires (Argentinien) und Montevideo (Uruguay). Das hat auch die UNESCO erkannt und die in Tangokreisen eher vernachlässigte Hauptstadt Uruguays in ihre Erb-Verpflichtungen mit einbezogen. Deswegen schlagen auch manche Autoren den Begriff „Tango Rioplatense“ vor. Der größte Tangosänger aller Zeiten, Carlos Gardel, stammt einer Theorie nach auch nicht aus Toulouse (Frankreich), wie seine offizielle Geburtsurkunde ausweist, sondern aus Tacuarembó (Uruguay).
Weiters: Der Tango ist ein Großstadtphänomen. Erzählt man irgendjemand in Argentinien außerhalb von Buenos Aires, man wäre des Tango wegen in sein Land gekommen, erntet man ungläubige Blicke. Wegen was? Von den Tausenden und Abertausenden erzählter Tangos handeln nur zwei vom Land: Adios Pampa mia und Adios muchachos, beide bei Tänzern kaum bekannt und schon gar nicht beliebt. Der Rest handelt vom Leben in der Großstadt, seinen Slums (in Buenos Aires vornehm barrio = Stadtteil und arrabal = Vorstadt genannt), von Armut, verlorener Liebe (und verlorenem Geld), von der verlassenen Heimat und zerplatzten Träumen. Aber nicht vom schönen Landleben.
Dass der Tango in Bordellen entstand und bevorzugt getanzt wurde, ist ein Mythos. Allerdings unterschieden sich die Kneipen und Tanzbars nicht sehr von den Rotlichthäusern. Noch in den 1950er Jahren war es für Musiker üblich, bis Mitternacht in einem Salon zum Tanz aufzuspielen, und zu später Stunde in einem anderen Salon als „Vermittler“ tätig zu werden. Rotlicht und Netzstrümpfe gehören immer noch zum Tango, und eine Veranstaltung wie „Nackter Tango“ (Stuttgart) (in Anlehnung an den Film gleichen Namens) oder „Sinnlicher Tango“ (Karlsruhe) findet zunehmend Anklang. Dabei dürfen/können/sollen die Damen sich so kleiden, wie sie (oder die Männer) es gerne haben, während die Männer in Anzug und Fliege Vornehmheit verbreiten. Ein bisschen verrucht soll’s schon sein, sonst wird der Tango uninteressant.
Die musikalischen Wurzeln des Tango sind vielfältig. Bereits der Ursprung des Worts liegt im Dunkeln. Meist wird es in Verbindung mit Musik oder Klang oder Geräuschen gebracht. Manche meinen, ihn ihm stecke das lateinische Wort „tangere“ für „berühren“, was sehr gut passen würde. Andere führen seine Bezeichnung zurück auf die spanische Trommel „tambor“, die sich über „tambo“ zum „tango“ wandelte. Wieder andere finden den Ursprung in einer afrikanischen Sprache, da die Sklaven aus Schwarzafrika viel zur Musik Lateinamerikas beigetragen haben: „lango“ (ein kongolesischer Tanz), „shango“ (ein nigerianischer Gott), „tamgu“ (Bantu-Wort für „tanzen“), „tango“ (kongolesisch für „geschlossener Ort“). Fakt indes ist, dass zwei Männer die Entwicklung des Tangos entscheidend beeinflussten.
Der erste war ein Deutscher: Heinrich Band und hatte in Krefeld (Deutschland) eine Fabrik für Concertinas gegründet, das sind achteckige Harmonikas. Eine spezielle Concertina-Konstruktion aus dem Jahr 1856 nannte er nach sich selbst „Bandonion“. Unter dem Namen Bandoneón wurde dieses ungewöhnliche und schwer zu spielende Instrument zur Seele des Tango. Doch das Bandoneón ist so schwer zu spielen, dass die Musiker den schnellen Rhythmus der „Milonga“ (der damals beliebtesten Tanzform, Vorgängerin des Tango) bändigen mussten. So wandelte sich der fröhliche „Negertanz“ (der Tango wurde ursprünglich von freigelassenen Sklaven getanzt) zu dem schwermütigen und konzentrierten Tanz, wie wir ihn heute kennen – ein langsamer, intensiver, sehr individueller und zum Großteil improvisierter Paartanz mit ungewöhnlichen Figuren und vielen Pausen.
Der zweite Mann, der den Tango wesentlich beeinflusste und über Nacht das Tangolied („Canzion de Tango“) aus der Taufe hob, war der in Toulouse (Frankreich) oder Tacuarembó (Uruguay)1890 geborene Charles Romuald Gardes. Mit drei Jahren wanderte seine Mutter mit ihm nach Buenos Aires aus – so die Legende – , wo er bald durch seine Gesangskünste glänzte und sich in Carlos Gardel umbenannte. An einem Abend im Januar 1917 besang er im Teatro Esmeralda seine „traurige Nacht“ („Mi noche triste“) (die Geliebte hatte ihn verlassen) und wurde über Nacht berühmt. Nicht nur, dass er eine beispiellose Karriere begann, die ihn in die USA und nach Paris brachten; mit dieser Form des gesungenen Tango (mit Gitarrenbegleitung) prägte er bis heute Inhalt und Stimmung der Tangolieder und damit auch des Tanzes. Die Lieder sind immer noch voll Melancholie und Abschiedsschmerz, voll Wehmut und Sehnsucht nach einer besseren Zeit, die – das weiß auch der Sänger – in dieser Form nie existierte, sondern nur in der Erinnerung als Illusion fortlebt. Es sind, nach seinen Worten,

„Träume voller Sehnsucht nach dem Gestern der alten Zeit, die ich beweine und die niemals wiederkehrt.“

1935 kam Gardel bei einem Flugzeugunglück ums Leben. Im Cockpit hatte es offenbar vorher eine Auseinandersetzung und Schüsse gegeben – ein würdiger Abgang für einen Tangosänger. Und noch heute, fast 70 Jahre nach seinem Tod, steckt in den kalten Fingern seines Denkmals am Friedhof „Chacarita“ in Buenos Aires immer eine brennende Zigarette. So was Ähnliches gibt es nur noch in Paris, wo am Grab von Edith Piaf auch heute noch stets frische Blumen liegen.
Natürlich müssten wir noch viele Männer und Frauen erwähnen, die den Tango formten: Orchesterleiter und Komponisten wie Francisco Canaro, Anibal Troilo oder Osvaldo Pugliese; Tänzer wie „Chacafaz„, Juan Carlos Copes, das Paar Gloria & Eduardo Arquimbaud und viele viele andere. 
Grob vereinfacht könnte man die musikalische Entwicklung des Tango so darstellen:

Candombe      Habanera      Musette-Walzer (alle Ende 19. Jhdt)
      ↓                     ↓                  ↓
Milonga             Tango          Vals

Die weitere Entwicklung sieht bisher so aus:

Piazzolla (1960)            Gotan-Project (2000)
         ↓                                   ↓
Tango nuevo               Neotango (Elektrotango)

Die Candombe war ein flotter Tanz der Schwarzen mit Trommelbegleitung. Aus ihm entwickelte sich die schnelle Milonga mit ihrem gleichmäßigen Rhythmus ohne die Möglichkeit zu großen Figuren. Dazu ist sie zu schnell. In der Milonga geht es um Kampf (bis zum Mord), um Auseinandersetzung, und wer der schnellste ist. Sie hat am ehesten ländlich-folkloristischen Charakter und passt am besten in einen Western-Saloon. Dummerweise bedeutet „Milonga“ auch eine Tango-Tanzveranstaltung, eine Art informellen Ball.
Die Habanera kommt aus Kuba, fand ihren Weg nach Spanien, dann nach Paris, und von dort auf kürzestem Weg nach Buenos Aires, gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Sie steht rhythmisch dem Tango sehr nahe. Eine typische Habanera finden wir in der Oper „Carmen“. Aber auch die Anfangstakte des Uraltschlagers „La Paloma“ haben genau diesen Takt. Es klingt schon sehr nach Tango. Von allen Tanz-Vorfahren des Tango ist sie am differenziertesten. Sie lässt Pausen, Synkopen und Rhythmuswechsel zu.
Als die reichen Leute von Buenos Aires (sie nennen sich selbst Porteños = Hafenbewohner) ihr Geld in Paris verjubelten, lernten sie dort um 1900 den zu Hause verachteten Tango kennen, und den Musette-Walzer. Beide Tänze wurden (re-)importiert, und so ist der Vals ein Grundbestandteil jeder Tango-Tanzveranstaltung. Walzer sind romantisch und elegant und passen auf große, vornehme Bälle.
Ab 1890 war der Tango in seiner heutigen Form (und mit diesem Namen) etabliert, wenngleich von der argentinischen Oberschicht verachtet. Erst als sie ihn in Paris kennen lernten, waren sie begeistert (alles, was aus Paris kam, war für die Porteños damals wie heutzutage für uns alles, was aus den USA kommt). Ab 1917 setzte sich auch das Tangolied („Tango Canción“) durch, mit poetischen (manche sagen: kitschigen) Texten, das aber nicht so sehr zum Tanzen vorgetragen wurde, sondern zum Zuhören. In diesem Jahr hat Carlos Gardel (1890 – 1935) sein berühmtes Stück „Mi noche triste“ (Meine traurige Nacht) aufgenommen, nur mit Gitarrenbegleitung, und damit den romantisch-wehmütigen Stil aller folgenden Tangos vorgegeben. 
Ab den 1920iger Jahren begann das „Goldene Zeitalter“ des Tango. Die Orchester wurden immer größer, die Tanzsäle auch. Die Musik war immer tanzbar, erscheint uns aber heute wie Barockmusik, also gleichförmig und kaum unterscheidbar. Die große Erneuerung des Musikstils kam mit Osvaldo Pugliese (1905 – 1995). Bereits in den Vierzigerjahren begann er, mit Rhythmen und Pausen zu experimentieren. Seine Stücke wie „La Yumba“ oder „Zum“ sind Meilensteine moderner und bestens tanzbarere Tangomusik. Sein Walzer „Desde el Alma“ (etwa: aus tiefster Seele) warf alle Regeln der Walzermusik über den Haufen: Statt durchgehender, schöner, verbindlicher Melodiebögen legt Pugliese lange Pausen ein; statt eines gleichmäßigen Rhythmus variiert Pugliese den Takt, vom Stillstand zum schnellen Finale. Und das Besondere an seinen Stücken: Bei langsamen Passagen baut sich im Hintergrund ein pochender, immer lauter werdender Rhythmus auf, und der Tänzer muss sich irritiert (oder erfreut, je nach Können) auf die Überlagerung einstellen. Pugliese starb 100jährig, als er bei einem Konzert tot über seinem Klavier zusammenbrach. 
1955 war dann alles zu Ende. In diesem Jahr wurde Juan Perron gestürzt, und eine Reihe übler Militärdiktaturen erstickte das kulturelle Leben Argentiniens. Perron und seine tangotanzende Gattin Evita hatten den Tango mit staatlichen Geldern unterstützt. Jetzt, unter Jorge Videla und anderen Massenmördern, war die Versammlung von drei oder mehr Leuten verboten, da subversiv und staatszersetzend. Aber zu zweit Tango tanzen macht keinen Spaß. Den Todesstoß versetzten dem Tango aber weniger die Militärs, als vielmehr die Beatles, wie Irene Thomas in ihrem Buch „The Temptation to Tango“ behauptet. Tatsächlich kann man sich keinen größeren Gegensatz vorstellen als den zwischen dem gelangweilt-weinerlichen Gesülze der Proleten aus Liverpool und dem kraftvollen Gesang eines trotzigen Tanguero. Aber natürlich trug die angelsächsische Popmusik im allgemeinen zum Verfall der Tangokultur bei. Oder umgeehrt: Die Tangokultur zerfiel, die amerikanische Popkultur füllte das Vakuum.
In den 1960erjahren erneuerte der Jazzmusiker Astor Piazzolla (1921 – 1992) den Tango. Ab seinem vierten Lebensjahr wuchs er in New York auf. Über seinen Vater schrieb er: „Mein Vater hörte ständig Tango und dachte wehmütig an Buenos Aires zurück, an seine Familie, seine Freunde – immer nur Tango, Tango.“ So begann Astor, den Tango zu hassen und sich dem Jazz und Johann Sebastian Bach zu widmen. Kurz spielte er im Tango-Tanz-Orchester von Aníbal Troilo, wo er sich über die Tänzer lustig machte und selbige durch Knallerbsen störte. Später verheimlichte er diese Zeit, so sehr schämte er sich für den Tango (wie immer noch die gesamte argentinische Oberschicht). Erst seine Pariser Musiklehrerin Nadia Boulanger überredete ihn 1954, endlich mal auch Tangos zu komponieren, zu spielen, und sich dazu zu bekennen, nachdem sie seinen Tango „Triunfal“ gehört hatte. Das tat er dann auch, und es war die Geburtsstunde des Tango nuevo. Doch seine Stücke waren völlig untanzbar, mit Absicht. Das indes juckte die Tangotänzer nicht, denn die sind flexibel und kreativ. So begannen sie, die Stimmung eines Piazzolla-Stücks einzufangen und durch ihre Bewegungen zu illustrieren – ein Horror für den Komponisten. 
Um 2000 schuf die Pariser Gruppe Gotan Project den Electrotango, auch Neotangogenannt. Der klang wie Tekkno, aber Tangotänzer sind flexibel und kreativ, und so begannen sie, die Stimmung eines Electrotangos einzufangen und durch ihre Bewegungen zu illustrieren. Sie übernahmen Bewegungsabläufe vom Ballett, lösten die geschlossene Haltung, führten Wirbelbewegungen („Colgadas“) wie beim Eistanz ein und verlangten viel Körperbeherrschung von ihren Anhängern.

 Seitdem herrscht Krieg unter den Tangotänzern, „klassisch“ gegen „neo“. Ein Beispiel dafür ist die Ankündigung einer bekannten Münchner Veranstalterin für ihre eigene Milonga:
„In diesen schweren Zeiten, wo der Wert bisher als solide geltender Tango-Titel immer mehr angezweifelt wird, wo toxische Titel gebündelt und in eigene „bad milongas“ ausgelagert werden, wo sogar gut aufgestellte traditionelle Milongas nicht ohne „einen Tropfen Gift“ auskommen – da gibt es jetzt eine neue „good milonga“, in der nur Titel allererster Bonität, darunter dem Publikum bisher weitgehend vorenthaltene mit besonders hohem Potential, gespielt werden.“
Neotango ist also toxisch = giftig! Dabei war der Tango immer „neo“, also rebellisch. Derartige Diskussionen sind nur die Fortsetzung des Autoritätsglaubens mit anderen Mitteln, denn sie erheben Buenos Aires zum Maß aller Dinge, obwohl Buenos Aires selbst diese Rolle nie beansprucht hat. … Autoritätsglaube und Formalismus sind Fesseln, die den geistigen Flug verhindern, der notwendig ist, um Neues, Eigenes zu erfinden und entwickeln. meint der Berliner Tangotänzer Raul. Wobei heute genauso Non-Tangos manche Tangoszenen beherrschen – Stücke, die tanzbar sind oder auch nicht, aus Jazz, Pop, Blues, Klassik und Barock. Das Feld für musikalische und tanzmäßige Experimente ist grenzenlos.
Musik, Tanzstil und soziales Umfeld sind im Tango untrennbar miteinander verbunden, auf welche Weise, das bleibt ein Geheimnis. Die wilden Bewegungen des archaischen Tango wurden durch den Pariser Tango verfeinert. Der Tango mutierte vom brutalen Vorstadtgeschiebe zum eleganten Salongeplänkel. Als dann diverse Tango-Shows in den 1980iger Jahren den Tango in aller Welt bekannt machten, setzten sich wieder harte, schnelle, manchmal gewalttätig aussehende Figuren durch. Die wurden wieder weicher mit Aufkommen des Neo- und Nontangos. Indes: Brauchen wir überhaupt einen neuen Tangostil, womöglich einen neuen Namen?
Auf keinen Fall, sagen die Verfechter des „klassischen“ Tango, sonst kommen uns die Tänzer abhanden. Auf jeden Fall, sagen die Verfechter eines neuen Tango, sonst kommen uns die Tänzer abhanden. In einem amerikanischen Neotangoforum berichtet eine Teilnehmerin namens Tina: Wollen wir die Jugend gewinnen, ist das Wort „Tango“ allein schon zu beladen. Es klingt so altmodisch, für alte Leute gemacht. Ich krieg scheele Blicke, wenn ich erzähle, dass ich Tango tanze … Sage ich dann, dass ich auch Salsa tanze, dann schauen sie erleichtert drein.
Eine Tatsache, die ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann: Die Jugend findet sowohl die Musik als auch die Bewegungen des klassischen Tango ganz entsetzlich, verstaubt, grade geeignet für Rentner auf Kaffeefahrt. Wenn die Eltern (oder ein Teil davon) sich diesem Tanz widmet, muss man sich als Sohn/Tochter dafür schämen und die Eltern in der Öffentlichkeit am besten verleugnen. Also: Soll der Tango nicht im Altersheim still verenden, brauchen wir tatsächlich etwas Neues – eben den Neotango mit seiner modernen Musik und seinen artistisch-sportlichen Bewegungen. Zugegeben, die Sinnlichkeit geht dabei verloren, der Spaß dagegen wächst.
Derek Madson, ein moderner Humanist und Tangotänzer von der University of Victoria in Kanada, hat die Notwendigkeit eines neuen Tangostils – und eines neuen Namens – in dem erwähnten Forum drastisch herausgestellt:
Die Jugend ist nicht interessiert ((am Tango der 1930iger Jahre, wie er von den Vertretern des „klassischen Tango“ gesehen wird)), und zwar wegen der erstickenden, unterdrückenden Kultur und Etikette, beides von Sexismus und Machismus durchdrungen. … Viele von uns sehnen sich danach, aus diesen unterdrückenden Zwängen auszubrechen, vor allem vor der herabsetzenden Arroganz der Salontänzer, die alles schlecht machen, was einen Hauch von Freiheit, Kreativität und jugendlichem Überschwang in sich trägt. Sowas ist nicht „authentisch“ – als ob der Tango authentisch wäre, mit seinen deutschen, italienischen, kubanischen und anderen Wurzeln.
Madson schlägt als neuen Namen „Pop Tango“ vor, aber ob sich der durchsetzt (oder „Fusion Tango“ oder „Millenium Tango“ oder …), das muss man abwarten. Jedenfalls wird der Kampf der Klassiker gegen die Modernen mit verbitterter Ideologie ausgetragen. Die Klassiker bestehen auf ihren Regeln (wozu beispielsweise gehört, dass niemals eine Frau auffordert), die Modernierer tanzen. Und manchmal hat man das Gefühl, die Ablehnung neuer Tanztechniken durch die „Klassiker“ liegt daran, dass im neuen Tango viel mehr Körperbeherrschung, Improvisationstalent, Musikalität und Kreativität verlangt werden. 

Ein Teilnehmer aus Finnland, der sich „curious dancer“ nennt, beschreibt die Aussichten und Möglichkeiten des Neotango sehr treffend: Je moderner der Stil, desto vielseitiger und größer die Möglichkeiten. Außerdem sinkt die Toleranz mit dem Alter des Stils. Toleranz aber brauchen wir, um neue Tanzvariationen einzubauen.
Letztenendes tun die Neotänzer das, was Pflicht und Kür des echten Tangotänzers ausmacht: Sie illustrieren mit ihren Bewegungen die Musik – jede Musik. Und das ist weit mehr, als Schritte zu setzen, Figuren abzutanzen oder sich an verstaubte Regeln zu halten.
Wo die Entwicklung des musikalischen, tänzerischen und sozialen Stils hingehen wird, das weiß keiner. Sicher wird irgendwo auf der Welt – vielleicht mitten unter uns – schon der nächste Tangostil vorbereitet. Was das sein wird, das wird sich erst in zehn Jahren klären. Vielleicht ist es der schon erwähnte „Nackte Tango“ ???