Die Zehn Gebote des Tango

Nach den Ausführungen des letzten Kapitels hier also meine Zehn Gebote des Tango:

(1) Lasst euch Zeit.

Der Tango ist kein Wettrennen, kein gnadenloser Kampf ums Ziel. Er ist ein sinnlicher Tanz, und deswegen lasst die Sinne sprechen. Macht mal Pausen („Nur net hudeln“), denn im Tango versäumt man nichts außer ein paar wunderbare Momente der Zweisamkeit. Und die sollte man genießen.
 

(2) Zeigt eure Beine.

Sie sind das Charakteristischste und Faszinierendste beim Tango. Streckt sie, zeigt sie, verwendet sie zum Tänzeln, Zeichnen, Kalligrafieren; zum Anbandeln, Flirten, Schmusen. Ob mit den Beinen des Partners oder mit dem Fußboden, das hängt von der Situation ab.
  

(3) Lehnt euch nicht an.

Das darf der „Compadrito“, der kleine Gauner, wenn er allein und lässig vor der Friedhofsmauer wartet, nicht aber die Dame am Herrn, auch wenn es so aussieht. Denn im Tango ist jeder für sich selbst und sein eigenes Gleichgewicht verantwortlich. Also: Bewahrt eure Contenance, sprich: eure Balance, ich meine: eure Achse. Jeder für sich, gemeinsam für beide.
 

(4) Tanzt zu zweit.

„It takes two to tango“ singt Louis Armstrong, aber bei manchen Paaren sieht es aus, als ob er seine Partnerin kartoffelsackähnlich umherschleift oder durch die Gegend reißt. Das gilt auch umgekehrt mit anderen Vorzeichen für die Damen: Lasst euch nicht kartoffelsackähnlich umherschleifen, sondern leistet ein wenig Widerstand. Sonst wird aus dem Tango Gelee. Hört auf einander: Der Tango ist ein Dialog, kein Ringkampf.
 

(5) Hört auf die Musik.

Sie ist das Wichtigste; ihr seid nur da, sie durch eure Bewegungen zu illustrieren. Und: wenn die Musik stoppt oder aufhört, dann macht das Gleiche. Außerdem: „Coultergeist“ von Phil Coulter muss man ein ganz klein wenig anders tanzen als „Zero Hora“ von Astor Piazzolla. Schließlich ist das Requiem von Mozart auch nicht das gleiche wie der Schlusssatz der 9. Symphonie von Dvorak oder Beethoven.
 

(6) Umarmt euch, aber klammert nicht.

Ersteres, weil sonst die Dame die Führung des Herrn nicht spürt. Letzteres, weil sonst der Herr keine interessanten Figuren führen kann.
 

(7) Tanzt elegant.

Euer Vorbild sei Fred Astaire, nicht Wladimir Klitschko.
 

(8) Tanzt, wie eine Katze geht.

Nehmt euch den gespannten, eleganten, verführerischen und zupackenden Gang dieser schönen Tiere zum Vorbild, nicht das Tapsen junger Hunde.
 

(9) Sucht und findet euren eigenen Stil.

Wenn dann jemand sagt: Das ist aber kein Tango, dann entgegnet: Das ist aber meinTango.
 

(10) Verwechselt den Tango nicht mit dem wahren Leben.

Der Tango ist Bühne und Illusion, eine Welt für sich. Das wahre Leben (was immer das auch sein könnte) sieht anders aus. Die Stimmung einer Tangoveranstaltung ist nicht auf das wahre Leben übertragbar. Illusionen sind wunderbar; aber nur dann, wenn sie als solche erkannt werden.
 

 Einen Teil meines Buchs „Tangosehnsucht“ können Sie hier als pdf-Datei herunterladen.